Radfahren in den Pyrenäen: »Alle diese Wege gibt es noch, sie haben eine Geschichte« (2024)

SPIEGEL: Herr McMillan, Sie veranstalten in den Pyrenäen das Radrennen »Further«. Was ist das?

McMillan: Die Veranstaltung findet im Spätsommer statt und dauert vier Tage. Die Teilnehmenden müssen mehrere Etappen bewältigen, manche davon führen über Pässe von bis zu 2000 Metern. Sie übernachten in Hütten oder unter freiem Himmel und müssen oft auch ihre Räder tragen.

Zur Person

Camille McMillan, 53, hat als Fotograf viele Jahre die Tour de France begleitet, unter anderem auf den Etappen durch die Pyrenäen und das Ariège. »Die Franzosen nennen die Gegend das A…loch Frankreichs«, sagt der gebürtige Londoner. »Aber mir gefiel es so gut, dass ich mit meiner Familie ein paar Monate hinziehen wollte.« Mittlerweile leben sie seit acht Jahren am Mont Fourcat, 150 Kilometer westlich von Perpignan.

2019 gründete MacMillan das Bikepacking-Rennen Further. Es führt quer durch die französischen Pyrenäen und das Grenzgebiet von Andorra und Spanien, über Asphalt, Schotterpisten und über Pfade, auf denen die Teilnehmenden ihre Räder schleppen müssen. Die vierte Ausgabe findet vom 26. bis 29. August 2022 statt, ein paar der 50 Startplätze sind noch frei. Mehr Infos unter frthr.co. Seine Liebe zu den Pyrenäen teilt Camille MacMillan auf seinem Instagram-Account.

SPIEGEL: Das klingt nach einem anspruchsvollen Rennen.

McMillan: Eigentlich ist es kein Rennen.

SPIEGEL: Was ist es dann?

McMillan: Mit Further möchte ich einen Anlass schaffen, die Pyrenäen zu erkunden. Manche Radfahrer fahren Rennen, andere Touren, manche nutzen das Fahrrad zum Pendeln. Am Ende geht es immer ums Erkunden. Manchmal erkundet man die Landschaft um sich herum, manchmal sich selbst. Wenn also jemand der Teilnehmenden sich unterwegs in einen Hirten verlieben sollte und deshalb nicht weiterfährt, fände ich das großartig. Genau darum geht es nämlich bei Further.

Radfahren in den Pyrenäen: »Alle diese Wege gibt es noch, sie haben eine Geschichte« (1)

Fotostrecke

Fotograf Camille McMillan in den Pyrenäen: Ein unentdecktes Ziel für Radfahrer

Foto:

Camille McMillan

SPIEGEL: Und wie hart ist Further nun?

McMillan: Emma Pooley (dreifache Duathlon-Weltmeisterin und zweifache Olympia-Teilnehmerin in der Disziplin Straßenrennen, d. Red.) hat es mal so ausgedrückt: »Ich habe mich schon gefragt, ob es sich bei Further um ein ausgeklügeltes und grausames Experiment der Performance-Kunst handelt. Aber letztendlich war es die schönste, herausforderndste und glücklichste Erfahrung, die ich je auf einem Fahrrad gemacht habe.«

SPIEGEL: Was hat Sie dazu bewegt, eine Veranstaltung wie Further zu organisieren?

McMillan: Als Jugendlicher bin ich Radrennen gefahren, dann habe ich eine Kunstschule besucht, und später produzierte ich mehrere Jahre lang Fotoreportagen von der Tour de France. Die Tour ist großartig, aber irgendwann wird sie auch eintönig. Die Leute machen immer dasselbe, sagen immer das Gleiche. Als gäbe es einen Tour-de-France-Generator. Dann lernte ich den Veranstalter von Europas längstem Ultradistanz-Radrennen kennen, dem Transcontinental Race.

SPIEGEL: Pardon, was bedeutet Ultradistanz in diesem Fall?

McMillan: Zu der Zeit, als ich das Transcontinental Race mit der Kamera begleitete, führte es über eine Strecke von rund 4000 Kilometern. Von Belgien bis in die Türkei. Ich fand dieses Rennen inspirierend. Man hat unterwegs so viele interessante Begegnungen mit Menschen, sei es in Cafés oder in irgendwelchen abgelegenen Gegenden. So etwas wollte ich auch erschaffen: eine Veranstaltung, in die meine Liebe zur Fotografie, zu Landschaften, zum Erkunden und zu den Pyrenäen einfließt.

»Mit Further versuche ich meine Faszination für die alten Wege in den Pyrenäen zum Ausdruck zu bringen.«

SPIEGEL: Was lieben Sie denn an den Pyrenäen?

McMillan: Mich faszinieren zum Beispiel die uralten Routen, die hier existieren. Die modernen Verkehrswege wurden im 19. und 20. Jahrhundert extra für Autos gebaut. Aber abseits dieser Straßen verlaufen Pfade, die von den alten Römern angelegt wurden. Dass sie die Jahrhunderte überdauert haben, macht sie in meinen Augen ungeheuer wertvoll. Das Gleiche gilt für die Routen, die vor der Motorisierung für den Transport von Kohle genutzt wurden. Oder von Eis.

SPIEGEL: Von Eis?

McMillan: Es gibt hier einen Gletscher, von dem die Menschen früher Eis schlugen und es bis nach Toulouse brachten, wo sie ihren Absinth damit gekühlt haben oder was auch immer. Alle diese Wege gibt es noch, sie haben eine Geschichte, und sie lassen sich mit dem Rad befahren – na gut, manchmal muss man auch absteigen und das Bike tragen. Mit Further versuche ich, meine Faszination für die alten Wege in den Pyrenäen zum Ausdruck zu bringen. Und wenn diese Wege den Teilnehmenden etwas geben, macht mich das glücklich.

SPIEGEL: Um die Strecke festzulegen, erkunden Sie die Pyrenäen kreuz und quer. Fahren Sie alles mit dem Rad ab?

McMillan: In der Regel nutze ich ein E-Rad. Manchmal wandere ich auch. Meistens kehre ich am selben Tag zurück, ich bin schließlich Familienvater. Wenn ich doch mal über Nacht wegbleibe, schlafe ich in einem Refuge, den Schutzhütten, die jedem als Unterschlupf offen stehen.

SPIEGEL: Kann man sich in solchen Hütten überhaupt wohlfühlen?

McMillan: Viele Gemeinden in den Pyrenäen sind sehr stolz auf ihre Refuges und halten sie sorgfältig in Schuss. Für sie sind die Hütten ein Aushängeschild. Manche Refuges sind allerdings auch verwahrlost. Für gewöhnlich die in den niedrigen Gefilden, wo sie von Jugendlichen zum Abhängen genutzt werden – dann riecht es dort nach Gras und schlechtem Bier. Aber je weiter Sie nach oben in die Berge kommen, desto liebevoller sind die Refuges ausgestattet.

Radfahren in den Pyrenäen: »Alle diese Wege gibt es noch, sie haben eine Geschichte« (2)

SPIEGEL: Wer hat diese Gebäude erbaut?

McMillan: Zahlreiche Refuges zeugen von einer Zeit, als es in den Pyrenäen noch viele Hirten gab. Sie verbrachten die Winter in den Dörfern und zogen im Sommer mit ihren Tieren in die Berge. Dann wohnten sie in den Hütten. Es gibt auch jüngere Refuges, die hauptsächlich für Wanderer gebaut wurden. Aber Wirtschaft und Infrastruktur sind hier irgendwie eher noch auf die Hirten ausgerichtet, wohingegen sie in den Alpen komplett auf Touristen fokussiert sind. Das macht den Reiz der Pyrenäen aus.

SPIEGEL: Gibt es in den Pyrenäen zu viele oder zu wenige Touristen?

McMillan: Es gibt hier eine Menge Bewahrer, die sagen: »Die Pyrenäen müssen so bleiben wie sie sind, sie gehören uns!« Und ich kann das verstehen. Andererseits ist das Gebirge einfach wunderschön. Es könnten und sollten mehr Leute kommen. Natürlich ist es schwer, eine Balance zu finden – ich möchte auch nicht, dass alles überlaufen ist. Dabei war hier schon mal richtig was los, die Pyrenäen waren mal beliebter als die Alpen.

SPIEGEL: Wie kam das?

McMillan: Wegen der heißen Quellen und Heilbäder. Es gab die Route Thermal, die von einem prachtvollen Thermalbad zum nächsten führte. Aber das ist mehr als hundert Jahre her. Die Zeiten sind längst vergangen – vielleicht liegt es daran, dass immer weniger Leute glauben, dass man in Lourdes seine Wunden heilen kann. Wahrscheinlich hatte auch der spanische Diktator Franco seinen Anteil daran – bis in die Siebziger konnte man die Pyrenäen nicht überqueren, weil die Grenze nach Spanien praktisch dicht war. Und dann ist da noch der landschaftliche Charakter.

»Die Pyrenäen haben menschenfreundlichere Ausmaße.«

SPIEGEL: Wie würden Sie ihn beschreiben?

McMillan: Er ist nicht ganz so überwältigend wie in den Alpen. In der Schweiz steht man vor den Bergen und denkt einfach nur: Wow! Man kann die schiere Größe gar nicht richtig erfassen, die Alpen sind so… in your face. Die Pyrenäen sind anders, sie haben menschenfreundlichere Ausmaße. Die Gegend ist in vielerlei Hinsicht sehr reich, an Landschaft und Geschichte. Eigentlich verrückt, dass nicht mehr Leute kommen. Selbst im Winter lohnt es sich: Es hat viel geschneit, aber morgen soll es zwölf Grad warm werden. Ich werde wahrscheinlich eine Wanderung machen.

SPIEGEL: Haben Sie keine Angst vor den Bären in den Bergen? Haben Sie jemals einen gesehen?

McMillan: Ha, nein! Ich wünsche mir, dass ich mal einen treffe. Angeblich wurde im Herbst etwa 500 Meter oberhalb von unserem Haus einer gesichtet. Ich kann's aber nicht ganz glauben, wahrscheinlich haben die unsere Katze mit einem Bären verwechselt. Wildschweine machen mir aber mehr Angst. Immer wieder gibt es Zusammenstöße auf Verkehrswegen oder wenn Elterntiere ihre Frischlinge verteidigen. Dabei kamen auch Menschen ums Leben.

SPIEGEL: Ziert nicht ein Wildschwein das Logo von Further?

McMillan: Das stimmt. Wir haben es ausgewählt, weil es so kraftstrotzende Biester sind. Sie sind wild und frei, diese Einstellung sollen auch die Fahrerinnen und Fahrer bei Further haben. Und Wildschweine müffeln ein bisschen, das passt ebenfalls zu uns.

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